Klaus Woltron: Ukraine – eine Jahrhundertchance wurde vertan

Eine Jahrhundertchance wurde vertan.
Als Fazit bleibt, dass nach wie vor nicht erkennbar ist, wo das eigentliche außenpolitische Ziel der EU liegt und diese eine geschichtliche Chance zur gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem größten Land der Welt, einem der rohstoff- und chancenreichsten, nachbarlichen Handelspartner, aus höchst banalen und verwerflichen Gründen ungenützt verstreichen ließ.
Diese geschichtliche Fehlleistung reiht sich trefflich in die bisherige Negativgeschichte des Wirkens der Brüsseler Bürokraten und farb- und phantasielosen europäischen Staatsmänner und - frauen ein und lässt für Europa in den nächsten Jahren nichts Gutes erwarten.

Ukraine 2014 – eine Jahrhundertchance wurde vertan

Ukraine – eine Jahrhundertchance wurde vertan
Zusammenfassung und Interpretation.
1. Die Ukraine ist auf Grund ihrer wechselvollen Geschichte ein in inneren Widersprüchen gefangenes
Land. Die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung und die teils schweren Konflikte in den
vergangenen Jahrhunderten im Inneren und nach außen hin bilden einen stets latenten Sprengstoff.
Diese Gemengelage wurde durch die Verselbständigung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
und die sich dadurch verstärkende wirtschaftliche Malaise geweckt und bildete ein explosives
Gemisch, das sich weiterhin in einer Abfolge von schweren politischen Krisen manifestierte.
2. Die Ukraine ist ein an Bodenschätzen reiches Land und bildet zusätzlich seit Jahrhunderten eine
natürliche Barriere bzw. ein Einfallstor des Westens in Richtung Russland. Dieser Umstand ist im
kollektiven Bewusstsein der russischen Nation insbesondere durch die Traumata der Invasion
Napoleons und Deutschlands, mit jeweils schwersten Verlusten an Menschen und Hab und Gut,
verbunden. Andererseits betrachten die USA die Ukraine offiziell als einen Lebensnerv Russlands,
welcher, an den Westen fallend, Russland strategisch entscheidend und nachhaltig schwächen und zu
einer zweitklassigen Macht degradieren würde1
3. Auf Grund dieses geostrategischen Kalküls setzte bald nach dem Zerfall der Sowjetunion, der
Wiedervereinigung Deutschlands und der Neuordnung der Landkarte Europas ein zuerst verborgenes,
dann aber immer offensichtlicher werdendes Ringen um die Vorherrschaft in der Ukraine ein, welches
mit verbissener Härte und großem finanziellen und propagandistischem Aufwand sowohl von Seiten
der USA (vermittels ihrer Verbündeten NATO und EU) auf der einen, Russland und dessen Vasallen in
der Ukraine auf der anderen Seite, ein. Dies erfolgte in klarem Widerspruch zu den Versprechungen,
welche seitens aller westlichen Staatenlenker 1990, anlässlich der deutschen Wiedervereinigung und
der damals herrschenden Friedenseuphorie, gemacht worden waren.
4. Die latenten Spannungen kulminierten vorerst in der Orangen Revolution im Jahre
20014, welche massiv von der EU und den USA sowie etlichen von jenen gesteuerten
NGO´s finanziert und organisiert worden war. Nach einem kurz währenden Erfolg fraß die Revolution
wieder ihre Kinder, die alten Mächte kehrten in Person des Moskau – treuen Präsidenten
Janukowytsch wieder zurück.
1. 1 Zitat aus Znigniew Brzeszinskis “The Grand Chessboard”: “Eurasia is “the chessboard on which the struggle for global
primacy continues to be played,” and that “it is imperative that no Eurasian challenger emerges, capable of dominating
Eurasia and thus also of challenging America.”

5. 2013 brachen die latenten Konflikte wieder auf, die Vorbereitungen für die Unterzeichnungen eines
Assoziationsabkommens zwischen der EU und der Ukraine mündeten in ein unterschriftsreifes
Dokument. Als die ukrainische Führung erkannte, dass im Falle der Unterzeichnung mit schwersten
wirtschaftlichen Maßnahmen seitens Russlands zu rechnen wäre und die EU – Verhandler sowie der
IWF dafür keinerlei auch nur annähernd vergleichbare Kompensation anboten, blieb Präsident
Janukowytsch keine andere Wahl als das Abkommen abzulehnen. Diese Blamage war nach allen
vorliegenden Informationen die Folge einer kurzsichtigen und unprofessionellen
Verhandlungsstrategie der EU, welche die zunehmende Irritation und dadurch provozierte
Feindseligkeit der russischen Seite nicht erkannte oder erkennen wollte und dadurch eine rote Linie
überschritt.
6. Nach diesem Schock schaltete Putin hart, konsequent und wahrscheinlich für lange Zeit auf
Krisenmodus, um zu retten, was nach seinem – und nicht nur seinem – Dafürhalten für Russland
strategisch das absolut erforderliche Minimum war. Er besetzte die Halbinsel Krim und ließ diese
völkerrechtlich unzulässige Aktion nachträglich durch ein umstrittenes Referendum “legalisieren”.
Parallel dazu begann man, die aus der Mitte der dortigen Bevölkerung
erwachsende Separatistenbewegung in der Ostukraine aktiv zu unterstützen.
7. Der Konflikt verdichtete sich immer mehr auf zwei Personen: Putin und Merkel. Diese pflegten einen
sehr intensiven Informationsaustausch, der einerseits durch ein belehrendes und
selbstgerechtes Auftreten von Merkel, andererseits durch einen zynischen, herablassenden Ton des
in seinem russischen und auch persönlichen Stolz zutiefst verwundeten Putin gekennzeichnet war und
ist. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Putin ein von schwersten innenpolitischen Krisen
und Konflikten und inneren Auseinandersetzungen mit – auch physisch
gefährlichen- Gegnern2gestählter Innenpolitiker im größten Land der Welt ist, während Frau Merkel
ein saniertes Land, das sich höchsten Wohlstands, inneren Friedens und eher behaglicher Atmosphäre
erfreut, regiert. Dementsprechend unterschiedlich ist auch der Stil, die Geschwindigkeit und Härte von
Maßnahmen der einen oder anderen Seite.
8. Wie in allen eskalierenden Konflikten, welche sich über eine längere Zeit entwickeln und gewalttätig zu
werden beginnen, setzten sich beide Parteien immer mehr ins Unrecht, die ursprünglichen
Beweggründe, Befindlichkeiten und Ursachen verschwammen im öffentlichen Bewusstsein Europas,
gerieten teilweise in Vergessenheit und werden nun durch den anwachsenden Hass und die
Verbitterung, begleitet durch teils ungewollt herbeigeführte Tragödien mit fragwürdiger
Verantwortungszuweisung, Propagandakampagnen, bewusste Desinformation von beiden Seiten
verfälscht und führen zu einer nicht mehr enden wollenden fruchtlosen Diskussion, während
unschuldige Menschen inmitten Europas zu Hunderttausenden fliehen und zu Tausenden getötet
werden.
2 http://goo.gl/ovR0ml)

9. Die mittlerweile seit längerer Zeit andauernden Sanktionen haben zu einer dauerhaften und tief
greifenden Entfremdung zwischen Russland und dem Westen geführt, was von Europa nicht in dieser
Intensität und Schärfe erwartet worden war, nach allen vorliegenden Informationen aber durchaus im
strategischen Interesse der USA3 liegt. Man hatte sich, ohne dass dies das Resultat einer wirklich
profunden Strategie der Europäer, wohl aber der USA war, erhofft, mit den Sanktionen ein Einlenken
Russlands zu erzwingen, aber genau das Gegenteil damit erreicht. Wer die Geschichte
Russlands studierte hat und den Nationalstolz der Russen kennt, wird sich darüber nicht wundern. Die
tatsächlich in Europa Verantwortlichen wollten oder konnten dies offensichtlich nicht erkennen und
manövrierten sich in eine geschichtliche Sackgasse.
10. Damit steht die sogenannte europäische Friedenspolitik vor einem Scherbenhaufen: Anstatt jenes
Ziel, das als vorrangige Begründung für die Errichtung der EU immer wieder gepriesen wurde –
einen dauerhaften Frieden in Europa – zu erreichen, “gelang” es den handelnden Personen,
in unkoordinierten und unprofessionellen Aktionen, in Missachtung oder Unkenntnis der Befindlichkeit
des Gegenübers und unter sträflicher Vernachlässigung aller Regeln einer gekonnten
Diplomatie, Europa in einen geschichtlich einmaligen Konflikt mit Russland zu verwickeln, sich eine
gewaltige – auch finanzielle – Verantwortung für ein
heruntergewirtschaftetes Land aufzuhalsen, Russland nach Asien und in Richtung
Türkei abzudrängen und einen Handelspartner und Energielieferanten auf Jahre hinaus zu isolieren
und zu entfremden.
Die von den USA nunmehr auch offiziell verlangte Verschärfung der Krise durch das Verlangen des
Repräsentantenhauses in Washington (Resolution 758), „die Ukraine mit tödlichen und nichttödlichen Waffen zu versorgen, Militärtrainings zu ermöglichen und die Sanktionen zu verschärfen.
4“
setzt dem Ganzen die Krone auf.
3 http://goo.gl/rDMR4K
4 http://goo.gl/VnYHw7

Die denkbaren Alternativen sind alles andere als ermutigend. Wenn es gelingt, Putin zu stürzen, ist die Gefahr
groß, dass Russland in einer ähnliche Katastrophe (den Ausdruck “Frühling” sollte man angesichts der diversen
Frühlinge in Nordafrika und dem Nahen Osten eher vermeiden) versinkt wie das zerfallene Jugoslawien. Dies
kann ganz Europa in ein Chaos stürzen. Falls Putin die Sanktionen übersteht und als Gewinner aus der
Kraftprobe hervorgeht., ist die Glaubwürdigkeit der EU schwerstens beschädigt, eine Wirtschaftskrise, als
sinnlos herbeigeführt, offenkundig und wiederum nichts gewonnen. Fast denselben Ausgang würde eine aus
wirtschaftlicher Einsicht beider Seiten hervorgehendes mühsames Kitten oder ein Einfrieren der Krise nach sich
ziehen.
Das ganze Spiel ist eine aus Justamend – Positionen entstandene loose – loose –
Auseinandersetzung – wie fast jede hauptsächlich aus emotionalen
Gründen herbeigeführte Kraftprobe. (Ein Watzlawick´ sches Schulbeispiel5).
Zum Abschluss dieser betrüblichen Zusammenschau europäischen Versagens
seien mir noch einige persönliche Bemerkungen gestattet. Zum ersten sei
festgestellt, dass die Leistungen von Staatenlenkern nicht so sehr nach ihren
löblichen oder nicht löblichen Absichten, sondern ausschließlich nach den
Ergebnissen für die Bürger zu beurteilen sind- siehe Einleitung. Und da kann
man den handelnden Personen in der EU nur ein absolut vernichtendes
Zeugnis ausstellen.
Anstatt das “window of opportunity”, welches jede größere Umwälzung – Revolution, Krieg, Zusammenbruch
eines Reiches etc. – bietet, zu nutzen, wie es z.B. Otto v. Bismarck in einem Europa extremer Spannungen
gelang,
6 fiel man nach kurzer Euphorie in genau jene Denke zurück, die die vorhergehende Katastrophe
herbeigeführt hat: In ein Denken in grenzüberschreitende Einflußsphären. Dies wird gleisnerisch und zutiefst
unehrlich derzeit ausschließlich Russland unterstellt. Angesichts der geschilderten Vorgeschichte der Tragödie
kann diese einseitige Auffassung nicht aufrechterhalten werden. Es war und ist dokumentierte Strategie auch
der USA, ihren weltweiten Einfluss vermittels aller verfügbaren Mittel – Propaganda, personelle und
wirtschaftliche Maßnahmen, Krieg, und, wie, weil unvermeidlich, einbekannt, Folter, aufrechtzuerhalten und
zu befestigen. Diese Strategie ist in allen Details nachzulesen bei Zbigniew Brzeziński 7 , Henry Kissinger8 et al.
Ab 1990 hätte Europa die Chance gehabt, sich auf seine eigenen Stärken und Chancen zu besinnen, sich vom
Hegemon USA, ohne diesen vor den Kopf zu stoßen, teilweise zu emanzipieren und eine eigenständige,
neutralistische Politik zwischen dem Atlantik und Asien zu beginnen.
5 http://goo.gl/WpozbF
6 http://goo.gl/xhqUcA
7 http://goo.gl/rDMR4K
8 http://goo.gl/rs2vka

Eine Jahrhundertchance wurde vertan.
Als Fazit bleibt, dass nach wie vor nicht erkennbar ist, wo das eigentliche außenpolitische Ziel der EU liegt und
diese eine geschichtliche Chance zur gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem größten Land der Welt, einem der
rohstoff- und chancenreichsten, nachbarlichen Handelspartner, aus höchst banalen und verwerflichen
Gründen ungenützt verstreichen ließ.

Diese geschichtliche Fehlleistung reiht sich trefflich in die bisherige Negativgeschichte des Wirkens der Brüsseler
Bürokraten und farb- und phantasielosen europäischen Staatsmänner und – frauen ein und lässt für Europa in den nächsten Jahren nichts Gutes erwarten.