Klaus Woltron: Erpresserische Tugendwächter

Import aller weltweiten Konflikte ist kein taugliches Rezept für die Gesellschaft Österreichs.

Wir mussten schon genug Kerzerl- und Gedenkveranstaltungen sehen. Es ist Zeit, sich zu wehren.

Wir werden euch jagen und büßen lassen. Wir werden nicht vergeben. Wir werden nicht vergessen.“ So sprach der Präsident der USA mit hohler Stimme, als er die Nachricht vom Tod von 13 GIs auf dem Flughafen Kabul kommentieren musste. Schweres Atmen war zu hören. Auch unser Präsident äußerte sich jüngst in Alpbach aus tiefstem Seelengrunde: „Österreich hat bei der Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen viel geleistet. Das ist in der Sache aber irrelevant. Die Aufnahme von 100, 500 oder 1000 Familien ist technisch möglich.“
Biden schlägt im Moment einer katastrophalen Niederlage dieselben Töne an wie George W. Bush nach dem 11. September 2001: Dieser hatte die USA in das aktuelle Desaster geführt. Van der Bellen wiederum verdrängt in seiner emotionalen Aufwallung wesentliche Fakten: Nichts verpflichtet Österreich, Afghanen aus deren Land abzuholen, und die bisherigen Erfahrungen hierzulande sind übel. Afghanen sind „unter den Tatverdächtigen um das Vierfache überrepräsentiert“, bei Sexualdelikten gebe es eine „siebenmal so hohe Belastung“ (IHS). Es gibt in Afghanistan zahllose Stämme, die einander bekriegen. Fareed Zakaria (CNN) erwartet weitere schwere innere Kämpfe. Werden die Expatriates ihre Kämpfe bei uns weiterführen – IS gegen Taliban, Sunniten gegen Schiiten, Al-Kaida gegen IS Khorasan? Es ist eine sehr subjektive moralische Verpflichtung, vertreten von einer lautstarken Minderheit, die der Herr Bundespräsident zu favorisieren beliebt. Er begibt sich damit in gefährliches Wasser.
Politiker – und sei es auch das sakrosankte Staatsoberhaupt –, die diesem Vorgang, ohne ans Ende zu denken, das Wort reden, begehen eine Sünde an unserem Land. Österreich hat nichts zu dem Tohuwabohu am Hindukusch beigetragen. Wir nahmen bisher 44.000 Afghanen auf; die viertgrößte Community weltweit. Der Vorwurf, die Ablehnung, Flüchtlinge aufzunehmen, schade dem Ansehen des Landes, ist eine Falschmeldung: Wir befinden uns damit in breiter Gesellschaft. Warum verrichtet man seine moralische Notdurft ins eigene Nest? Es ist verständlich, dass der mit verstörenden Bildern konfrontierte Normalbürger spontan seinem Bauchgefühl folgt. Von verantwortlichen hohen Organen des Staates verlangt man hingegen, dass sie unparteiisch über Gefühlswallungen stehen.
Es regieren die Kräfte des Bauches
In der Gefühlssphäre walten die Kräfte des Bauches, frei von logischen Behinderungen. Es bringt in einer Diskussion mit Gefühlsgesteuerten daher nichts, die Studie von Kohlbacher et al. (AfghanInnen in Österreich etc; Akademie der Wissenschaften, 2020) zu zitieren. Dort wird u. a. berichtet, dass seit 1979 Millionen von Afghanen im und aus dem Land flohen, zurückkehrten, erneut flohen usw. Kein Hahn krähte hierzulande danach. Hätte man sich vor einem Jahr die Mühe gemacht, diese Arbeit (es gibt viele andere) gründlich zu lesen, wäre klar geworden, dass eine Demokratisierung eines mittelalterlich strukturierten Landes unmöglich ist. Die jüngste Episode ist nur eine in einer Kette von jahrhundertelangem Hauen und Stechen. Diese Auseinandersetzung ist nicht „unser Krieg“, wie „Profil“ jüngst suggerierte, und auch die Flüchtlinge sind nicht „unsere Flüchtlinge“. Es hat sich am Elend und der Gewalt nur insofern etwas geändert, als diesmal besonders viele Invasoren von den Afghanen zum Teufel gejagt wurden.
Die Motive sind logisch nicht begründbar
Mindestens einer Milliarde Menschen geht es schlechter als den Afghanen. Mit der Aufnahme auch nur eines Bruchteils dieser Personen würden hierorts genau jene Zustände eintreten wie in deren Herkunftsländern. Woher kommt der völlig undurchdachte Druck auf die Zuwanderung? Die wirksamsten Unterstützer der Migration sind internationale und nationale NGOs in Zusammenarbeit mit den Grünen. Deren Motive sind teils religiös, gefühlsgesteuert, ideologisch, auch kommerziell – keinesfalls aber logisch begründbar.
Die SPÖ, welche früher einen ausländerfreundlichen Kurs verfolgte und nicht zuletzt deswegen gerade in der Bedeutungslosigkeit versinkt, tritt derzeit einen halbherzigen Rückzug an. Hochmotivierte Funktionäre von NGOs sind in der Kunst der Meinungsmache bestens ausgebildet. Im Internet finden sich beeindruckende Anleitungen, wie man die Stimmung hasenherziger Politiker und recherchefauler Berichterstatter beeinflusst. So bildet sich sehr schnell und faktenfern eine aufgebrachte Schar bereitwilliger Vollstrecker für Kampagnen, deren Ausgang niemand durchdenkt, weil man mit dem Befund keine Freude haben würde. In Ermangelung mutiger und standhafter Politiker – Ausnahmen bestätigen die Regel – siegt daher meist der Bauch über das Gehirn, und dementsprechend ist der Geruch des Ergebnisses.
Die USA wollten die Menschheit durch den Export ihrer Lebensart beglücken. Das ging katastrophal schief, wie eben zu beobachten ist. Es fällt dem Präsidenten auf den Kopf. Manche Kräfte in Österreich versuchen dies durch Import aller Leidenden und Benachteiligten. Das wird, wie etliche teils tödliche Beispiele zeigen, ebenfalls fatal ausgehen. „Joe Biden hat Blut an den Händen“, twitterte die US- Abgeordnete Elise Stefanik. Das Desaster in Afghanistan sei „allein das Ergebnis der schwachen Führung des Präsidenten“.
Man sollte nicht so lange warten, bis sich der Herr Bundespräsident einen ähnlichen Vorwurf gefallen lassen muss. Wir haben schon zu viele Kerzerl- und Gedenkfeiern hierzulande erleben müssen. Es ist höchste Zeit, sich der versuchten Vergewaltigung durch eine überlaute Minderheit tapfer und wehrhaft entgegenzustellen.