Innenminister – oder die ewige Gratwanderung
Analyse
Von Ida Metzger
Es ist ein Job, „bei dem du in der Früh aufwachst und am Abend nicht weißt, ob du noch Innenminister bist“, schildert Ex-SPÖ-Innenminister Karl Schlögl (er war der letzte Rote in dieser Position) die Unwägbarkeiten dieses Ministerpostens. Der Innenminister ist jenes Regierungsmitglied, das oft das „Bummerl“ gepachtet hat. „Das Spannungsfeld liegt zwischen kaltherzigem Hardliner und Softie, je nach politischem Standpunkt“, sagt Politikexperte Thomas Hofer.
Unvorhersehbare, aber auch einige selbst verschuldete Aufreger und Skandale, wie sie Schlögl beschreibt, hat Karl Nehammer (ÖVP) in den vergangenen 13 Monaten fast im Monatstakt erlebt.
Zur Erinnerung ein Überblick über die Negativ-Serie: Zuerst stand seine martialische Sprachwahl („Wer sich nicht an die Maßnahmen hält, wird zum Lebensgefährder“; oder: die Polizei als „Flex, die die Infektionskette durchtrennt“) in der Kritik. Auch die teils übertriebenen Anzeigen im ersten Lockdown sorgten für Verärgerung.
Von Ibiza bis DemoIm Mai warf man Nehammer vor, Justizministerin Alma Zadic (Grüne) den Fund des Ibiza-Videos verheimlicht zu haben. Dann passierte am 2. November der Terror*anschlag mit vier Todesopfern. Nehammer musste aus deutschen Medien von den fatalen Pannen im Verfassungsschutz erfahren. Nun steht der zweifache Vater wegen der nächtlichen Abschiebung von drei Kindern unter Dauerbeschuss. Die Opposition, ein Teil der Bevölkerung sowie Hilfsorganisationen attestieren ihm Kaltherzigkeit.
Kurz davor wurde bekannt, dass zwei ehemalige Verfassungsschutz-Mitarbeiter dem Ex-Wirecard-Vorstandsmitglied Jan Marsalek zur Flucht verholfen und für ihn spioniert hatten. Vergangenen Sonntag brachte dann ein Demonstrationsverbot Nehammer abermals viel Kritik ein – auch wieder von zwei Seiten: Die einen warfen ihm Eingriff in die Versammlungsfreiheit vor, die anderen kreideten ihm an, das Demo-Verbot nicht durchgesetzt zu haben. Die folgenden Misstrauensanträge im Parlament überstand Nehammer aber.
„In der Partei suspekt“Bei den Vertrauensindex-Umfragen erklimmen Innenminister europaweit selten einen vorderen Platz. Karl Schlögl hingegen war laut Umfragen unter den beliebtesten Politikern. „Nach Thomas Klestil und Viktor Klima hatte ich die höchsten Werte“, erzählt er. „Aber das war in den eigenen Reihen suspekt. Man unterstellte mir eine FPÖ-Nähe“, so Schlögl.
Aber auch Schlögl hatte im Amt Skandale zu bewältigen – darunter die Tötung des Nigerianers Omofuma bei der Abschiebung. „Großen Widerstand gab es auch, als ich die DNA-Analyse eingeführt habe. Heute ist sie Standard“, sagt Schlögl.
„Das Innenministerium ist eine Gratwanderung in Permanenz“, sagt Politikexperte Hofer. Gerade für die ÖVP muss der Innenminister stets „Kante zeigen“ und die „Linie halten“. Ein Ex-ÖVP-Innenminister, der allerdings namentlich nicht genannt werden will, formuliert es so: „Durch die Zuständigkeiten des Innenministers gibt es genug Möglichkeiten, ihm in die Parade zu fahren. Da muss man ideologisch sehr gefestigt sein, um nicht wie eine Fahne im Wind zu wehen.“
Dass dieses Amt dermaßen polarisiert und sein Träger es sehr schwer allen recht machen kann, hat zwei Gründe: Kein anderer Minister muss so häufig Lösungen für die Bruchlinien unserer Gesellschaft finden: Sicherheit, Zuwanderungsrestriktionen, Terror*, Geheimdienst, Überwachungsstaat versus Grundfreiheiten, Recht auf Asyl, Jugendschutz. „Alle Fundamentalthemen kumulieren im Innenministerium“, sagt Hofer.
Der zweite Grund: Das Innenministerium muss gesetzliche Bestimmungen vollziehen, die in den letzten Jahrzehnten im Parlament oft unter dem Druck eines großen Wählerzulaufs zur FPÖ zustande kamen. Die konkreten Auswirkungen mancher dieser Bestimmungen in der Praxis sorgen dann im Anlassfall für Kontroversen – die der jeweilige Innenminister auszubaden hat.
Schon Ex-Innenministerin Maria Fekter meinte, sie müsse im Fall Arigona „nach dem Gesetz vorgehen, egal, ob mich Rehlein-Augen anschauen oder nicht“. Eine Aussage, für die sie heftig kritisiert wurde.
Im Fall der aktuellen Kindesabschiebung bekommt Nehammer Rückenstärkung von Ex-Amtskollegen Schlögl: „Für mich hat der Innenminister nachvollziehbar dargelegt, dass es hier einen Asylmissbrauch gab.“ Allerdings meint der SPÖler, dass er versucht hätte, den Fall im Vorfeld zu lösen, um nicht „diese Bilder zu produzieren“.
„Panzer hilft nicht“Innenminister zu sein, bedeutet nicht nur eine Gratwanderung, sondern auch permanente Anfeindungen. „Ein Panzer hilft da nicht, jeder Untergriff schmerzt aufs Neue“, sagt ein Ex-Innenminister, der nicht genannt werden will. Auch Schlögl haben die Angriffe, vor allem aus den eigenen Parteireihen, persönlich getroffen.
Eine Ex-Innenministerin blickt heute erleichtert auf ihren Härtetest zurück: „Wer die Widrigkeiten dieses Amts bewältigt, den bringt politisch nichts mehr um.“
Obwohl der Wiener erst seit 13 Monaten als Innenminister arbeitet, wurde er schon mit vielen Krisen konfrontiert: Corona-Pandemie, Terror*anschlag, BVT-Skandal, Abschiebung von drei Kindern und untersagte Demonstrationen. Am vergangenen Donnerstag gab es im Parlament zwei Misstrauensanträge gegen ihn.
Der erste FPÖ-Innenminister war 17 Monate im Amt (2017 bis Mai 2019) und produzierte sich seine Skandale selbst, indem er und seine Vertrauten alles in Bewegung setzten, um eine Hausdurchsuchung im Verfassungsschutz durchzuführen, die später für illegal erklärt wurde. Alexander Van der Bellen berief ihn aus dem Amt ab
Die NÖ-Landeshauptfrau war fünf Jahre im Amt (2011–2016) und hatte damals keine hohen Sympathiewerte. Als sie vor der Flüchtlingskrise 2015 warnte, nahmen Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner sie nicht ernst. Die Flüchtlingskrise, die 71 Toten im Lkw und der Amoklauf am Annaberg bezeichnet sie als ihre schlimmsten Momente
Die Oberösterreicherin war die zweite Innenministerin (2008–2011). In ihre Amtszeit fiel der Fall Arigona Zogaj. Ihr Sager, dass sie „nach dem Gesetz vorgehen müsse, egal ob mich Rehlein-Augen aus dem Fernseher anstarren“ , brachte ihr viel Kritik ein. Für Arigona fand Fekter dann doch eine Möglichkeit, dass sie in Österreich leben konnte.
Er war der letzte SPÖ-Politiker in diesem Amt. Auch seine dreijährige Amtszeit (1997–2000) verlief nicht skandalfrei.
Etwa der Fall Marcus Omofuma – ein Asylbewerber aus Nigeria, der während einer Flugzeug-Abschiebung aus Österreich nach Sofia von drei Polizisten fahrlässig getötet wurde. Aber Schlögl führte auch die DNA-Analyse ein.