
Der wirkliche, letzte und ausschließliche Luxus meines Lebens ist, nicht erreichbar zu sein. Wer mich erreichen will, soll mich suchen. Findet er mich nicht, wollte er mich auch nicht zwingend erreichen. So trennt sich ohne mein Zutun die Spreu vom Weizen. Und die Weizenkörner sind nicht einmal eine halbe Handvoll. „Du bist so schwer zu erreichen“, höre ich oft. Kein WhatsApp, kein Snapchat, Twitter, LinkedIN oder Facebook. „Hast du überhaupt ein Handy?“ – „Klar habe ich ein Handy. Aber meistens ist es ausgeschaltet.“ – „Du solltest mehr networken. Ein Schriftsteller. Keine Homepage und nichts. Man wird dich vergessen.“ Solch wohlmeinende Drohung bewirkt bei mir gar nichts. Das Gegenteil. Ich fühle mich geschmeichelt und jenen überlegen, die sich wegen der Anzahl ihrer Follower einen Hauch von Bedeutung abholen. Arme Seelen, die gesehen werden wollen.
Ich war mal auf Facebook
Man muss schließlich wissen, weshalb man etwas ablehnt, wenn man es ablehnt. Nach drei Monaten langweilte ich mich mit meinen 235 „Freunden“. Interessierte mich einfach nicht, wer auf dem Konzert von Helene Fischer war, wer sich mit dem E-Bike auf einen Berg hat hinaufschieben lassen, wie das Erdbeer-Sahne-Törtchen aussah, das Alex gleich auf Mallorca verzehren sollte. Bin auf Facebook seit Jahren eine Leiche. Lebe deshalb nicht weniger vergnügt.
„Schlecht, wenn du dich den neuen Medien verschließt“, sagt mein ältester Sohn. „Wem setze ich das Betriebssystem neu auf, wenn es nur noch buggt? Wem repariere ich einen Quellcode? Doch dir, lieber Sohn.“
Ich muss nicht auf allen Social-Media-Plattformen tanzen, aber ihre Funktionsweise will ich kennen. Ich schaue mir das sehr genau an. Und schon schreit wieder wer: „Die textbasierten Chatbots sind ganz stark im Kommen. KI wird unsere Welt revolutionieren.“ Das löst in mir keine Minderwertigkeitsgefühle aus. Da werde ich zuerst einmal neugierig und beginne zu googlen, teste diese Programme aus, um dann zu sehen, wie bedauernswert einfältig KI doch ist. Künstlich ja. Intelligent kaum. „Das wird sich ändern. Steckt noch alles in den Kinderschuhen“, entgegnet der Schreihals.
Ich lasse mich nicht einschüchtern. Auch wenn zum Beispiel ChatGPT mit Millionen von Texten aus dem Internet, aus sozialen Medien, Online-Foren, Zeitungsartikeln und Büchern trainiert wird, entsteht daraus noch nicht genug Eigenes. So gut werden die Filter und Algorithmen nie sein. Es ist wie mit dem Nürnberger Trichter. Oben das ganze Wissen der Welt hinein. Unten kommt doch nur ein dürftiger Brei heraus.
Seit vierzig Jahren wird an Stimmerkennungsprogrammen gearbeitet. So lange aber Siri statt „kryptisch“ „Klitoris“ schreibt und mehr verbessert werden muss als mein neunjähriger Sohn, sehe ich keinen Grund, mich zu ängstigen.
Ich bin nicht ignorant. Mein Ältester irrt. Aber selbstbewusst bin ich. Weil ich keinen Gebrauch vom neuesten digitalen Schrei mache, bin ich deshalb nicht unverständig. „Der Kaiser ist ja völlig nackt!“ Ich sage das und bin noch stolz darauf, es zu sagen.
Ich ermutige auch Sie, sich zu verweigern. Lassen Sie sich nicht von Schlagwörtern mundtot machen, die gerade im Schwang sind. Schauen Sie nach. Lesen Sie sich ein. Dann schwindet die Angst. Voller Selbstwert sind Sie dann, die neueste digitale Mode betreffend, ein Gestriger. Und das liebend gern.