Klaus Woltron: Annalena gegen den Rest der Welt

Die Entgleisungen der Außenministerin, die das wirtschaftlich stärkste Land der EU vertritt,
andere ständig von oben herab zu maßregeln, sind verstörend und lassen an ihrer Eignung für die wichtige Aufgabe zweifeln.
Das gilt auch für EU-Chefin Von der Leyen.

Jüngst entstieg die Außenministerin Deutschlands, betont sportiv gewandet (ihre 136.500 Euro jährlich fürs Styling wären wohl anderweitig besser investiert), in Tianjin dem Luftwaffen-Jumbo. Gleich nach ihrer Ankunft bestand sie darauf, China müsse gegen den „brutalischen Angriffskrieg“ Russlands Position beziehen. Ungerührt antwortete ihr chinesischer Kollege, Außenminister Quin Gang: „Was China am wenigsten braucht, sind Lehrmeister aus dem Westen.“ Auch Bundeskanzler Scholz und die deutsche Wirtschaft zeigten sich irritiert über den außer Kontrolle geratenen grünen Marschflugkörper.
Ministerin des Wahren, schönen und Guten
Einst wütete Kaiser Wilhelm II. noch „brutalischer“: „Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel, so möge der Name der Deutschen in China auf 1000 Jahre in einer Weise bestätigt werden, dass es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!“ So sprach er anno 1900 zu den nach China entsandten Soldaten nach der Ermordung des deutschen Botschafters beim Boxeraufstand. Von blutrünstiger Hunnenwut keine Spur: Mit mickrigen 15% Stimmen ihrer Grün-Partei beflügelt Annalenas Einfalt allenfalls uralte Vorurteile der ermatteten Deutschen.
Nach ihrer Heimkehr stellte die „Ministerin für das Wahre, Schöne und Gute“ (NZZ), angesichts der chinesischen Realität aller Illusionen beraubt, fest, es sei „wirklich zum Teil mehr als schockierend“ gewesen.
Währenddessen wurde Brasiliens Präsident mit großem Pomp in Peking empfangen. Insgesamt 49 wichtige Abkommen unterzeichnete man – wie beim Besuch des französischen Staatspräsidenten. Beide vermieden es, ganz auf die Linie Chinas einzuschwenken. Immer mehr Staaten wenden sich vom Hegemon USA und der Achse Russland/China ab und gehen ihren eigenen Weg.
Die alte Weltordnung weicht einer neuen Struktur, einer multilateralen Patchwork-Welt.
Der Westen ringt
mit der aufstrebenden Weltmacht China
Angesichts dieses Wettstreits formiert sich eine neue selbstbewusste „Dritte Welt“. „Es ist unbequem für den Westen und für China, dass mehr als die Hälfte der Menschheit, die sich auf über 100 Länder verteilt, in dieser Auseinandersetzung keine Stellung für eine Seite beziehen möchte.“ („The Economist“) Den G7-Staaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada, USA, als zuhörender Adabei die EU) kommen Sympathie und Gefolgschaft des großen Rests der Welt zunehmend abhanden.
Anders die Europäer, deren hervorstechendstes strategisches „Potenzial“ darin zu bestehen scheint, heraufdämmernde Entwicklungen zu übersehen oder zu ignorieren: Man wirft sich noch leidenschaftlicher an die Brust des Hegemonen USA und degeneriert zum Blinddarm der Weltpolitik. Warum die EU, welche bevölkerungsmäßig um ein gutes Drittel stärker ist als die USA, keinerlei Anläufe unternimmt, um selbstständiger zu werden, erschließt sich dem Rest der Welt wohl nicht.
Die außenpolitische Parteilichkeit, insbesondere der Deutschen, steht in krassem Gegensatz zu ihrem verqueren linksgrünen Aberglauben: Die Geschlechter werden in Dutzende Varietäten gegliedert, die „Aneignung“ von Merkmalen ethnischer Gruppen verboten, Multikulturalität ikonisch verehrt, Vorbehalte gegenüber anderen Ethnien als Rassismus gesetzlich verfolgt, die Ehe, wenn sie als Keimzelle des Staates definiert wird, als fauliges Sediment des Nazismus verteufelt. Die Gleichheit aller Menschen per Allgemeine Menschenrechtskonvention ist in Stein, Erz und Gesetzbuch gemeißelt.
Diese heiligmäßigen Grundsätze werden alsbald verleugnet, wenn irgendwo ein Staat sich erfrecht, anders leben, arbeiten, sich politisch organisieren zu wollen, als es den sogenannten „westlichen Werten“ entspricht. Wenn ein Land sich nicht in die von Atomraketen, Flugzeugträgern, beispiellosem weltweitem Lobbyismus, globaler Dominanz eines einzigen Zahlungsmittels, Gruppendrucks in den Medien, politisch eindeutig punzierten Filmhelden bzw. -Bösewichtern beherrschte erdumfassende Phalanx integrieren will, wird es verfemt. Vorbei ist es dann mit der vielgeliebten Buntheit. Es zählt nur Entweder-oder: Der Freund meines Feindes ist auch mein Feind. Eine konstruktive Mitte ist verpönt. Gerade deswegen ist eine vorausblickende Neudefinition unseres Neutralitätsverständnisses erforderlich.
„Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland … “
„Putin muss sich um 360° drehen.“
„Wir werden die Ukraine so lange wie nötig unterstützen, unabhängig, was meine deutschen Wähler davon denken“ … usw.
Derartige Entgleisungen einer Außenministerin, die das wirtschaftlich stärkste Land der EU weltweit vertritt, die Art und Weise, andere von oben herab zu maßregeln, sind verstörend und lassen an der Eignung für ihre verantwortungsvolle Aufgabe zweifeln. Das gilt auch für Frau von der Leyen an der Spitze der EU, die noch keine einzige Idee verlauten ließ, wie Europa auf einen etwas eigenständigeren Weg geführt werden könnte.
Die verwegenen Slogans vom Juni 2010 für „Europa 2020“ sind längst schamhaft verräumte Makulatur. Macron, der es wagte, unkonventionelle Vorschläge zu äußern, wurde prompt auf allen Kanälen zurechtgewiesen, als Abweichler stigmatisiert, mit Kampagnen, die an finstere Zeiten erinnern.
Von der Leyen und Baerbock sind überzeugt, am Puls der Zeit zu sein. Der aber schlägt nicht in Brüssel oder Berlin. Soeben öffnet sich ein „Window of opportunity“ für viele Länder, sich im Übergang zu einer neuen Weltordnung geschickt neu zu positionieren – gegen alle warnenden Zurufe der üblichen Verdächtigen in Washington, Moskau und Peking.