
„Die Grundlage aller Marktwirtschaft“, wusste Ludwig Erhard, „bleibt die Freiheit des Wettbewerbs.“ Der sogenannte Vater der sozialen Marktwirtschaft, wie würde er in diesen Tagen wohl auf die Bundesrepublik blicken und auf eine Gesellschaft, die sich längst an eine Art Hyper-Nanny-State gewöhnt hat?
Krisenzeiten sind seit 2007 Staatsübergriffszeiten. Es sind Zeiten radikaler Entmündigung in Gestalt vermeintlicher Hilfen, die vor allem Umverteilung sind. Schulden sind die Umverteilung über die Generationen hinweg: Die Renten der Alten verzehren die Rücklagen der Jungen und eigentlich auch noch der Ungeborenen. Die kalte Progression in der Inflation bestraft als Umverteilung die Leistungsfähigen und -willigen, während gleichzeitig die Sanktionen gegen die Leistungsunwilligen und -fähigen gestrichen werden. Gleichzeitig expandiert das Staatsgebilde mit jeder Staatsmaßnahme: schafft mehr Bürokratie, mehr Verwaltung, mehr Staat, der dann mit einem noch übergriffigeren Staat finanziert werden muss.
In der Woche des CDU-Parteitags fällt einem wieder Ludwig Erhard ein, der schon 1958 vor zu viel Staatswohltaten warnte, weil das Volk diese „immer teuer bezahlen“ müsse: „Weil kein Staat seinen Bürgern mehr geben kann, als er ihnen vorher abgenommen hat – und das auch noch abzüglich der Kosten einer zwangsläufig immer mehr zum Selbstzweck ausartenden Sozialbürokratie“.
Das verstehen nur zunehmend weniger Deutsche. Der Geist der sozialen Marktwirtschaft, einer Idee voller Vernunft und Mäßigung, ist im Selbstmoralisierungsstrudel verbeamteter Eliten verloren gegangen. Es gibt dort ein nur mehr rudimentäres Verständnis von Ökonomie und Freiheit. Moral und Staat werden miteinander verwechselt, und der kulturelle Überbau in quasi-staatsfinanzierten Medien und den angepassten freien Medien sorgt dafür, dass jeden Tag das Wissen und Verstehen von sozialer Marktwirtschaft abnimmt. Wer mit seinen Kindern in Schulbüchern des Gymnasiums über Wirtschaft und Kapitalismus liest, kann sich genauso gut einen Parteitag der Linkspartei reinziehen.
Hinzu kommt die radikale Ambitionslosigkeit, die aus dem ökonomischen Irrealis gespeist wird. Bequemlichkeit ist das Markenzeichen nicht-freier Wirtschaftssysteme. Ein Teil der Krise hat auch mit der politischen und kulturellen Borniertheit des Landes zu tun – und seiner Mischung aus Feigheit und Opportunismus den eigenen Chancen gegenüber.
Ohne Rock und Hose
Würde Deutschland in Niedersachsen und Bayern mit Fracking die dort vorhandenen monströsen Gasvorräte selbst nutzen, das Land wäre reicher, autonomer und ökonomisch weniger labil als im Augenblick. Doch seien es Gemeinden wie im strunzwohlhabenden Süden Münchens, in Holzkirchen, oder überall in Niedersachsen: Lieber importieren wir Fracking-Gas aus Kanada und lassen es über den Atlantik schippern.
Wir importieren Kohlestrom aus Polen und Atomstrom aus Frankreich und machen dann auch noch die Klappe auf, um den Rest Europas, der kopfschüttelnd auf die deutsche Energiewende blickt, zu belehren. Wir sind Oberlehrer:innen (sic!) ohne Rock und Hose. Wir sind ein Witz.
Dass die Ampel es nicht schafft, die Mittelalterliebe der Grünen einzuhegen, die Laufzeit der AKW zu verlängern und Fracking zu fördern und zu fordern, spricht Bände. Stattdessen werden Zufallsgewinne besteuert, etwas, das der FDP wirklich weitere Schmerzen in der Kernwählerschaft zufügt. Wer in der FDP außer den üblichen Verdächtigen Frank Schäffler und Wolfgang Kubicki erklärt ihren Wählern mal, was die Liberalen wollten, wenn sie nicht in dieser Koalition wären?
Wo sind die Otto Graf Lambsdörffer oder Ralf Dahrendörfer, die erklären, wofür die FDP eigentlich steht? Jeder weiß, dass die Liberalen unter Christian Lindner den gröbsten Unfug der beiden linken Parteien in der Ampel verhindern. Das ist realpolitisch wertvoll. Dennoch braucht es dringend eine Tonspur, die weiß, dass Ludwig Erhards Erbe in Trümmern liegt.
Das liegt nicht nur an der Ampel, sondern auch an der Union, die in der CSU immer schon sozialpopulistisch argumentierte und unter Friedrich Merkel (Copyright Robin Alexander) keinerlei Ambition erkennen lässt, ihren Wirtschaftsflügel flattern zu lassen. Gibt es Carsten Linnemann noch? Gibt es noch irgendwelche Unternehmer und Selbstständige in der Union, die den Mund aufmachen? Oder sind die wie so viele in die innere Emigration abgetaucht, weil sie weder mit Nazis noch Kommunisten am Montag demonstrieren wollen?
Entschleunigt wie die Omis
Die Entmutigung der Ehrgeizigen, deren Hoffnungslosigkeit mit dem Blick auf eine kulturelle Engführung aller Debatten, wird nachhaltige Konsequenzen haben. Die rasant überalternde Gesellschaft hat jetzt eine Jugend, die entschleunigter und bequemer geworden ist als die Kissen-auf-der-Fensterbank-Omis und -Opis. Anstatt mehr in die Schule zu gehen, streikt und protestiert sie am Freitag. Anstatt zu forschen und zu erfinden, wird gehungert, gestreikt und sich an Kunst und Teer geklebt.
Die Innovationssprünge geschehen anderswo. In den USA, wo der Ehrgeiz Grundlage allen Erfolgs ist. Wo gesichtstätowierte Rapper und NBA-Stars aus dem Getto nur ein Mantra haben: Streng dich an, heul nicht rum, sei nicht bequem, gib alles, geh deinen Weg, sch**** auf die Klugdefäkierer und Besserwisser. Just do it, wie Nike das so simple auf den Punkt bringt.
Vor Nike hatten die Deutschen Ludwig Erhard. Eine freiheitliche Wirtschaftsordnung könne – so Erhard – auf Dauer nur dann bestehen, „wenn und solange auch im sozialen Leben der Nation ein Höchstmaß an Freiheit, an privater Initiative und Selbstvorsorge gewährleistet ist“. Dagegen sieht er die Sedierungswirkungen der Sozialpolitik, die Sicherheit statt Freiheit bieten. Das Land ist für die Ehrgeizigsten der Ehrgeizigen wenig attraktiv. Und die spießige Enge des nun links-„liberalen“ Establishments macht es jeden Tag unattraktiver.
Hinzu kommt eine Anspruchshaltung auch von Transferempfängern, die angesichts von knapp 900.000 offenen Stellen eigenwillig anmutet. Aber auch sonst wird gerne von Viertage-Wochen, Work-Life-Balance, bedingungslosem Grundeinkommen geplappert. Als Investor sollte man um Deutschland gerade eine Kurve machen oder aber – was ja passiert – zusehen, wie man von Subventionen und Staatswirtschaft profitieren kann.
Die FDP war die letzte Bastion einer politischen Kraft, die Restbestände des Marktwirtschaftlichen bewahren wollte – mehr ist in einer Ampel nicht drin. Die den Grünen gebückt zugeneigten Unionisten machen dabei mit. Die Ehrgeizigen haben keine politische Heimat. Wildtiere leben im Zoo sicher und verhungern nicht. Sie habe keine natürlichen Feinde und leben doch ein trostloses Leben. Sie haben Sicherheit statt Freiheit.
Dass den in Würde ergrauten Rentnern, die viel zurückgelegt haben, als Rendite eines fleißigen und klugen Lebens mit der Inflation nun auch noch nach der Arbeitskarriere ihre Reserven gestohlen werden, gibt der fatalen Wirtschaftspolitik im Euro-Raum eine historische Dimension. Hier das letzte Erhard-Zitat, in der Woche des CDU-Parteitags: „Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“
Was will die Union, was will die FDP, wo ist die bürgerliche Gesellschaft, die sich abseits verbitterter Krakeeler artikuliert und zu smarten, eleganten Formen des Protests findet?
Und als wäre das alles nicht trostlos genug, kommen die Angstavantgarden der staatsfinanzierten Bourgeoisie jetzt schon mit ihren Masken in den Biomärkten und Museen ums Eck, während die weniger akademischen Milieus in Zoos und Fußballstadien gar nicht daran denken. Der ängstliche Blick über der fest geschlossenen Maske auch im Freien am Fahrradständer schweift in die freie Welt und sieht sie vor allem als eins: als Bedrohung. Deshalb lieben die Deutschen (zumindest das ökokonservative Establishment) Masken und Verbote, Mieten- und Strompreisdeckel so sehr. Es nährt die Illusion, man könne die Freiheit ausknipsen wie eine Nachttischlampe.