
Putin sei geisteskrank, der Realität völlig entrückt, meinen westliche Politiker und Kommentatoren. Auch Angela Merkel wird wieder zitiert, die damals meinte, Putin lebe in einer anderen Wirklichkeit. Es gibt aber auch Beobachter, die keine Geisteskrankheit bei Putin ausmachen wollen, aber von einer Rationalität Putins sprechen, die wenig mit der Wirklichkeit gemeinsam habe.
Was lässt sich durch die Lebensgeschichte erklären?
In der Tat ist kaum nachzuvollziehen, warum Putin sich entschieden hat, die Ukraine anzugreifen. Die Kosten dieses Krieges für die russische Wirtschaft, den Finanzsektor und die russische Bevölkerung sind enorm. Russland ist diplomatisch weitgehend isoliert; Putin ist ein Aussätziger auf der internationalen Ebene. Die Reputationskosten für Russland sind enorm. Lässt sich das durch die Persönlichkeit Putins erklären?
Putin ist in der Nachkriegszeit in ärmlichen Verhältnissen in Leningrad aufgewachsen. Natürlich waren seine frühen Jahre geprägt von den Nachwirkungen der fürchterlichen nazideutschen Belagerung der Stadt. Mehr noch, er hatte seinen Bruder verloren, der 1944 mitten in dieser Belagerung an Diphtherie gestorben ist. Putin ist natürlich auch geprägt vom sowjetischen Narrativ über diesen Krieg und war/ist beeindruckt vom Sieg der Roten Armee über Nazideutschland. Patriotismus, Nationalstolz und Begeisterung für die machtvolle internationale Stellung des Landes prägten die Haltung Putins.
Misstrauen wurde zu einer Grundeigenschaft
Diese Überzeugungen wurden gestärkt durch den Eintritt Putins in den sowjetischen Geheimdienst KGB im Jahr 1975. Dort erlernte Putin nicht nur die Techniken der Spionage, sondern übernahm das Weltbild der Mitarbeiter des KGB, wonach der Westen eine feindselige und aggressive Einstellung gegenüber der Sowjetunion eingenommen habe und alles daran setze, das Land zu schwächen. Misstrauen wurde zu einer Schlüsseleigenschaft Putins.
Putins Persönlichkeit wurde natürlich auch durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt. Putin war nie Kommunist, aber ein patriotischer, stolzer Bürger des Landes. Das verheerende Elend des neuen Russland, der wirtschaftliche Zusammenbruch, die katastrophale soziale Lage, wurden als Schmach und Demütigung verstanden. Nicht nur in den Augen der Tschekisten, der Geheimdienstler, wurde der Westen, insbesondere die USA, als ein Akteur gesehen, der Russland marginalisiert, russische Interessen nicht berücksichtigt. In deren Augen hat der Westen die Schwäche Russlands ausgenützt, um seinen Einfluss auszuweiten und die Stellung Russlands zu untergraben. Diese Ressentiments haben sich nicht nur gehalten, sondern sie haben sich sogar verstärkt.
Putin war am Beginn seiner Präsidentschaft daran interessiert, mit dem Westen zusammenzuarbeiten. Zwar reklamierte Putin, dass diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe passieren müsse, und die Souveränität Russlands akzeptiert werden müsse. Handlungen und Entscheidungen des Westens haben Putin und sein enger Kreis aus Militär-, Sicherheits- und Geheimdienst als Nachweis angesehen, dass der Westen zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit nicht bereit sei. Das hat das grundsätzliche Misstrauen Putins gegenüber dem Westen nachdrücklich verschärft. Spätestens seit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 hat Putin rote Linien definiert, die der Westen nicht überschreiten dürfe. Seit damals ist Putin auch bereit, militärische Gewalt einzusetzen, um russische Interessen durchzusetzen und den Westen in die Schranken zu verweisen.
Rückzug in den engsten Kreis
In den letzten Jahren hat sich Putin immer weiter zurückgezogen und stimmt sich nur noch im kleinen Kreis mit dem Militär- und Geheimdienstapparat ab. Putin erhält von diesen aber nur selektive Informationen und Deutungen. Daraus ergeben sich für Putin sicherlich Informationslücken und eine verzerrte Sicht auf die Wirklichkeit.
Dazu kommt, dass sich kaum noch jemand getraut, ihm zu widersprechen. Im Gegenteil erhält der Präsident (fast) nur noch zustimmende Reaktionen. Der autoritäre Charakter der Führung lässt Widerspruch und Eigeninitiative kaum zu.
Die zunehmende Selbstisolation Putins wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. Fast nur noch über Videokonferenzen kommunizierte Putin mit der Regierung und anderen Mitgliedern der Führungsriege.
Zugleich hat sich Putins Obsession verstärkt, die russische/sowjetische Geschichte neu zu deuten. Er ist sicher auch darauf bedacht, was in den Geschichtsbüchern über ihn geschrieben werden wird. Er will zumindest in der Geschichtsschreibung Russlands als Herrscher beschrieben werden, der Russland wieder zu einer Großmacht gemacht habe, zu einem souveränen Staat, der seine Interessen auch militärisch durchsetzt. Russland solle stolz sein auf seine Geschichte. Verbunden ist das mit Vorwürfen Putins, westliche Historiker würden die Entwicklung Russlands falsch deuten und sich vor allem auf die dunklen Kapitel des Landes konzentrieren.
In dieser Obsession, den Ruhm und die frühere Größe Russlands wiederherzustellen, kann sich Putin die Ukraine nur als Teil der russischen Einflusssphäre darstellen. Schließlich hat Putin in einem Essay die Russen und die Ukrainer als ein Volk bezeichnet. Das Abdriften der Ukraine in den westlichen Einflussbereich, ist für ihn inakzeptabel. Putin ist überzeugt, dass dem militärisch entgegengewirkt werden müsse. Der Angriff sei geboten, da die Ukraine in den nächsten Jahren mithilfe des Westens (Ausbildung, Ausrüstung, gemeinsame Manöver) militärisch immer stärker werde. Daher auch die rhetorische Umdeutung der Wirklichkeit: Russland sei das eigentliche Opfer, die Ukraine durch ihre vom Westen gesteuerte Marionettenregierung ein Aufmarschgebiet für eine militärische Bedrohung Russlands. Die Ukraine sei also der Aggressor.
Was lässt sich durch die Lebensgeschichte erklären?
In der Tat ist kaum nachzuvollziehen, warum Putin sich entschieden hat, die Ukraine anzugreifen. Die Kosten dieses Krieges für die russische Wirtschaft, den Finanzsektor und die russische Bevölkerung sind enorm. Russland ist diplomatisch weitgehend isoliert; Putin ist ein Aussätziger auf der internationalen Ebene. Die Reputationskosten für Russland sind enorm. Lässt sich das durch die Persönlichkeit Putins erklären?
Putin ist in der Nachkriegszeit in ärmlichen Verhältnissen in Leningrad aufgewachsen. Natürlich waren seine frühen Jahre geprägt von den Nachwirkungen der fürchterlichen nazideutschen Belagerung der Stadt. Mehr noch, er hatte seinen Bruder verloren, der 1944 mitten in dieser Belagerung an Diphtherie gestorben ist. Putin ist natürlich auch geprägt vom sowjetischen Narrativ über diesen Krieg und war/ist beeindruckt vom Sieg der Roten Armee über Nazideutschland. Patriotismus, Nationalstolz und Begeisterung für die machtvolle internationale Stellung des Landes prägten die Haltung Putins.
Misstrauen wurde zu einer Grundeigenschaft
Diese Überzeugungen wurden gestärkt durch den Eintritt Putins in den sowjetischen Geheimdienst KGB im Jahr 1975. Dort erlernte Putin nicht nur die Techniken der Spionage, sondern übernahm das Weltbild der Mitarbeiter des KGB, wonach der Westen eine feindselige und aggressive Einstellung gegenüber der Sowjetunion eingenommen habe und alles daran setze, das Land zu schwächen. Misstrauen wurde zu einer Schlüsseleigenschaft Putins.
Putins Persönlichkeit wurde natürlich auch durch den Zusammenbruch der Sowjetunion geprägt. Putin war nie Kommunist, aber ein patriotischer, stolzer Bürger des Landes. Das verheerende Elend des neuen Russland, der wirtschaftliche Zusammenbruch, die katastrophale soziale Lage, wurden als Schmach und Demütigung verstanden. Nicht nur in den Augen der Tschekisten, der Geheimdienstler, wurde der Westen, insbesondere die USA, als ein Akteur gesehen, der Russland marginalisiert, russische Interessen nicht berücksichtigt. In deren Augen hat der Westen die Schwäche Russlands ausgenützt, um seinen Einfluss auszuweiten und die Stellung Russlands zu untergraben. Diese Ressentiments haben sich nicht nur gehalten, sondern sie haben sich sogar verstärkt.
Putin war am Beginn seiner Präsidentschaft daran interessiert, mit dem Westen zusammenzuarbeiten. Zwar reklamierte Putin, dass diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe passieren müsse, und die Souveränität Russlands akzeptiert werden müsse. Handlungen und Entscheidungen des Westens haben Putin und sein enger Kreis aus Militär-, Sicherheits- und Geheimdienst als Nachweis angesehen, dass der Westen zu einer gleichberechtigten Zusammenarbeit nicht bereit sei. Das hat das grundsätzliche Misstrauen Putins gegenüber dem Westen nachdrücklich verschärft. Spätestens seit seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 hat Putin rote Linien definiert, die der Westen nicht überschreiten dürfe. Seit damals ist Putin auch bereit, militärische Gewalt einzusetzen, um russische Interessen durchzusetzen und den Westen in die Schranken zu verweisen.
Rückzug in den engsten Kreis
In den letzten Jahren hat sich Putin immer weiter zurückgezogen und stimmt sich nur noch im kleinen Kreis mit dem Militär- und Geheimdienstapparat ab. Putin erhält von diesen aber nur selektive Informationen und Deutungen. Daraus ergeben sich für Putin sicherlich Informationslücken und eine verzerrte Sicht auf die Wirklichkeit.
Dazu kommt, dass sich kaum noch jemand getraut, ihm zu widersprechen. Im Gegenteil erhält der Präsident (fast) nur noch zustimmende Reaktionen. Der autoritäre Charakter der Führung lässt Widerspruch und Eigeninitiative kaum zu.
Die zunehmende Selbstisolation Putins wurde durch die Corona-Pandemie noch verstärkt. Fast nur noch über Videokonferenzen kommunizierte Putin mit der Regierung und anderen Mitgliedern der Führungsriege.
Zugleich hat sich Putins Obsession verstärkt, die russische/sowjetische Geschichte neu zu deuten. Er ist sicher auch darauf bedacht, was in den Geschichtsbüchern über ihn geschrieben werden wird. Er will zumindest in der Geschichtsschreibung Russlands als Herrscher beschrieben werden, der Russland wieder zu einer Großmacht gemacht habe, zu einem souveränen Staat, der seine Interessen auch militärisch durchsetzt. Russland solle stolz sein auf seine Geschichte. Verbunden ist das mit Vorwürfen Putins, westliche Historiker würden die Entwicklung Russlands falsch deuten und sich vor allem auf die dunklen Kapitel des Landes konzentrieren.
In dieser Obsession, den Ruhm und die frühere Größe Russlands wiederherzustellen, kann sich Putin die Ukraine nur als Teil der russischen Einflusssphäre darstellen. Schließlich hat Putin in einem Essay die Russen und die Ukrainer als ein Volk bezeichnet. Das Abdriften der Ukraine in den westlichen Einflussbereich, ist für ihn inakzeptabel. Putin ist überzeugt, dass dem militärisch entgegengewirkt werden müsse. Der Angriff sei geboten, da die Ukraine in den nächsten Jahren mithilfe des Westens (Ausbildung, Ausrüstung, gemeinsame Manöver) militärisch immer stärker werde. Daher auch die rhetorische Umdeutung der Wirklichkeit: Russland sei das eigentliche Opfer, die Ukraine durch ihre vom Westen gesteuerte Marionettenregierung ein Aufmarschgebiet für eine militärische Bedrohung Russlands. Die Ukraine sei also der Aggressor.
Putin will den militärischen Sieg über die Ukraine, die politische und militärische Kapitulation des Landes und die Unterwerfung der Ukraine. Das soll mit allen notwendigen Mitteln erreicht werden. Das soll Putin den Eintrag in den Geschichtsbüchern als Sammler der slawischen Brudervölker bringen. Dies zu erreichen, führt Putin zu den, aus unserer Sicht irrationalen Entscheidungen. Putin ist unserer Weltdeutung entrückt, nicht geisteskrank, aber er lebt in seiner eigenen Welt.