
Darf eine Übersetzerin weißer Hautfarbe das Gedicht “The Hill We Climb” der schwarzen Schriftstellerin Amanda Gorman übersetzen oder ist das eine politisch unkorrekte, anmaßende “kulturelle Aneignung”? Oder, in letzter Konsequenz: Darf ein Nicht-Italiener Pizza backen? In den Sozialen Medien bricht sich eine neue Verbotskultur Bahn. “Generation Beleidigt – von der Sprachpolizei zur Gedankenpolizei” überschreibt die französische Feministin Caroline Fourest ihre Analyse linken identitätspolitischen Denkens, das auf Kultur und Gesellschaft übergreift, Debatten unter Verdacht stellt und damit den gesellschaftlichen Diskurs ersticken könnte. Video: ARD / ttt
Ein Gedicht bewegt die Welt
Die ganze Welt hat Amanda Gorman bewegt mit ihrem Gedicht, ein Appell an Schwarz und Weiß, Amerikas Wunden zu heilen: mit-, nicht gegeneinander. Und jetzt, nur ein paar Wochen später der Streit darüber, wer “The Hill We Climb” in europäische Sprachen übertragen darf: Bereits beauftragte, weiße ÜbersetzerInnen zogen nach Kritik schwarzer Aktivisten zurück oder wurden von ihrem Verlag gefeuert. Der Katalane Victor Obiols fragte nach: Ob er auch Homer besser nicht übersetzt hätte, da er heute lebe und kein Grieche sei. “Es sind jetzt schon mehrere Übersetzer in Europa, die die Gedichte von Amanda Gorman, dieser jungen schwarzen amerikanischen Dichterin, nicht übersetzen durften, weil ihre Größe, ihre Hautfarbe, ihr Geschlecht nicht stimmten. Wenn es jetzt soweit kommt, dass man die gleiche Hautfarbe, die gleiche Identität wie der Autor haben muss, um ihn übersetzen zu können, sagt das viel über die an sich tief rassistische Mentalität aus, zu der wir gerade wieder zurückgehen. Unter dem Vorwand des Antirassismus wird die am meisten rassistische aller Zuordnungen rehabilitiert”, erklärt Publizistin Caroline Fourest.
Fourest kritisiert neue Empörungs- und Verbots-Manie
Caroline Fourest, Autorin, Filmemacherin, Feministin, Linke. In Frankreich kennt sie fast jeder – als streitlustige Publizistin und Kritikerin auch des eigenen Lagers. In ihrem Buch “Generation Beleidigt” denunziert Fourest eine neue Empörungs- und Verbots-Manie, die Zensur freien Denkens durch eine linke Sprach- und Gedankenpolizei – die Diktatur der Hypersensiblen. An linken US-Unis entfesseln “rassistisch beleidigte” Studenten Hexenjagden auf ihre ausgewiesen antirassistische Professoren. Mal wird einem angst und bang, mal muss man lachen. “Es gibt seit Jahren unerhörte Polemiken über Mensa-Gerichte, die vom Originalrezept im Ursprungsland abweichen und die deshalb als Verbrechen gegen dessen Kultur angeprangert werden. Studenten in Montreal, Kanada wollten einen Yoga-Kurs abschaffen, in dem sie kulturelle Aneignung, eine Einvernahme der indischen Kultur erblickten. Vieles davon kommt jetzt auch nach Europa”, erzählt Caroline Fourest.
Wer darf “The Hill We Climb” übersetzen?
Schon bevor eine schwarze Aktivistin in den Niederlanden den Streit um die weiße Übersetzerin des Amanda-Gorman-Gedichts lostrat, beauftragte der Hoffmann und Campe-Verlag ein Dreier-Team: Zusammen mit der Übersetzerin Uda Sträting bemühten sich eine deutschtürkische Journalistin und eine Rassismus-Expertin um das Gedicht von Amanda Gorman. “Irgendwer hat uns zuletzt ja tatsächlich vorauseilenden Gehorsam unterstellt in der Presse. Dazu kann ich sagen: Das ist, mit Verlaub, völliger Quatsch”, so Tim Jung, der Verlagsleiter des Hoffmann und Campe-Verlags.
Man kann es auch so sehen – es geht auch um die überfällige Korrektur einer bislang nie hinterfragten Machtstruktur im Kulturbetrieb. “Ich finde es wirklich ungemein bezeichnend, dass permanent gefragt wird, ob Weiße jetzt keine Schwarzen übersetzen dürfen. Warum sollten Schwarze keine Schwarzen übersetzen, warum sollten sie es nicht beide zusammen tun, warum sollte es keine Teams geben? Und muss man weiß sein, um im Mainstream-Literaturbetrieb zur Kenntnis genommen zu werden?”, fragt Rassismus-Expertin Hadija Haruna-Oelker.
Übersetzungsarbeit als Brückenbau
Die Literatur-Übersetzerin Olga Radetzkaja versteht ihre Arbeit als Brückenbau, als Berührung mit dem Anderen. Diese Absicht vermisst sie im Gezerre um das Gedicht von Amanda Gorman. “Aus meiner Sicht geht es da eigentlich nicht vorrangig um Übersetzung oder eigentlich vielleicht sogar gar nicht um Übersetzung. Was die Verlage jetzt machen – es ist ja auch nicht nur Hoffmann und Campe, es breitet sich ja aus – ist eben, dass sie auch an diese Stelle der Übersetzenden eine Symbolfigur setzen wollen. Nicht die kompetenteste Übersetzerin, sondern jemanden, der etwas Ähnliches verkörpert. Und die Übersetzung soll dann schon auch noch gut sein, deshalb engagiert man dann noch eine Übersetzerin dazu, ja?”, so Radetzkaja. Über die Unterschiede das Gemeinsame suchen – darauf kommt es an. Einander zuhören. Ganz im Sinne Amanda Gormans.
Fourest über Intoleranz, Denkverbote und Dogmen
In Paris dagegen kann Caroline Fourest keinen Frieden mit der Intoleranz finden, den Denkverboten, den Dogmen. Die frühere Charlie-Hebdo-Mitarbeiterin hat wie ihre Stadt, wie Frankreich unauslöschliche Erfahrungen mit dem Fundamentalismus gemacht. “Mich attackieren linke Studenten, die sich mit islamistischen Aktivisten verbündet haben. Sie versuchen, mich zum Schweigen zu bringen, beschimpfen mich als islamfeindlich – dabei verteidige ich als Feministin nur den Laizismus”, erzählt Caroline Fourest. Einst, so erinnert sich Caroline Fourest in ihrem Buch, stand die Linke für die Idee: Eine andere Welt ist möglich. Daraus seien nun neue geistige Ghettos geworden. Denkverbote. Dagegen setzt sie ihr kämpferisches Credo – für das Leben lernen, heißt von den Frauen lernen: “Durch Me-too wurde sich die Welt endlich schrecklicher Phänomene bewusst, die der Feminismus schon seit Jahrzehnten anprangert. Man muss irgendwann seinen Mut zusammennehmen und klar sagen: Dieses Beleidigtsein wegen nichts ist lächerlich – kümmern wir uns um das Wichtige! Wenn jeder nur mehr im Namen seiner Gruppe, seiner Hautfarbe, seines Geschlechts redet – dann sind alle miteinander im Krieg, nur um festzustellen, wer das größte Opfer ist”, meint Caroline Fourest.
2020-05-11 Wie die Menschen in Rassen aufgeteilt wurden Matthias Heine – Die Welt