2015-11-26 Kurier |
"Ich mach mir die Welt" – Pippi Langstrumpf feiert Geburtstag |
Daniela Davidovit |
Die kleine Revoluzzerin prägte Generationen. Wie denken wir heute über sie?
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Seit 70 Jahren stellt Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf die Welt auf den Kopf: Sie geht nicht in die Schule, lässt sich von Erwachsenen nichts sagen und prügelt sich mit Buben. Und hat ihr tägliches Revolutionsritual: Sie schläft mit den Füßen am Polster und dem Kopf unter der Decke.
In einer Zeit, als Kinder nur ruhig und strebsam sein sollten – vor allem Mädchen –, erfand die schwedische Autorin Astrid Lindgren das revolutionäre, ungebremste Kind, das keine Grenzen akzeptiert. „Für unsere Generation war sie wie eine Befreierin aus alten Denkmustern“, erinnert sich KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger. Pippi hat eine Persönlichkeit, wie wir uns das Idealbild einer Kindheit vorstellen: stark, selbstbewusst, kreativ und kritisch. Durch die Fernseh-Serie mit Inger Nilsson bekam das verrückte Mädchen auch ein Gesicht, das bis heute jeder kennt. „Sie bewegt sich in ihrer Welt wie ein Hooligan, das ist natürlich für Kinder sehr lustig“, so die vierfache Mutter.
Kabarett für Kinder
Die Geschichten aus Pippis Leben sind wie ein Kabarett für Kinder, meint auch Theater-Regisseurin Michaela Obertscheider, deren Pippi-Langstrumpf-Inszenierung derzeit in Wien Kinder und Eltern begeistert. Dabei hat Pippi Langstrumpf ein Umfeld, das Kindern Angst machen könnte: Die Mutter ist gestorben und der Vater ist weit weg, sie ist alleine. „Erst in der Zusammenarbeit mit den Schauspielern habe ich erkannt, wie sehr es hier um Resilienz für Kinder geht, wie man sie innerlich stärkt, um mit einer Situation umzugehen. Deswegen sagt sie auch Sätze wie ’Nicht jeder hat so tolle Eltern wie ich’ oder ’Meine Mama schaut mir aus dem Himmel zu’“, erzählt Obertscheider. Dieser psychologische Zugang hat mit dem Grund für die Geschichte zu tun: Lindgren erfand die Figur als Aufmunterung für ihr kranke Tochter Karin im harten Kriegsjahr 1941. Erst später schrieb sie das Buch dazu, das heute vor 70 Jahren auf Schwedisch erschien.
Pippi als Erwachsene
Die Leiterin ders Instituts für Familienförderung, Sabine Wirnsberger, sieht in Pippi einen Meilenstein der damaligen Pädagogik, „Ich bin 50 und habe als Kind in ihr eine wertvolle Unterstützung gefunden. Aber heute erziehen Eltern ihre Kinder anders – und wir erleben viele kleine Pippi Langstrumpfs in der Realität.
“ Die Begeisterung für antiautoritäre Erziehung hat sich überholt: „Jetzt wissen wir aus Interviews, wie belastend es für Kinder in den 70er-Jahren war, ohne Grenzen aufzuwachsen. Dass Kinder für ihre Entwicklung eigentlich klare Regeln brauchen. Aber Eltern verhandeln zu viel über Rahmenbedingungen und lassen den Kindern dafür innerhalb ihres Rahmens zu wenig Freiheit“, so die Kinderpsychologin. „Zu uns kommen Kinder in die Beratung, die nicht in die Schule gehen wollen oder frech zu Lehrern sind – und die stoßen leider irgendwann an ihre Grenzen. Erwachsenwerden ist so ganz schwierig“, beobachtet Wirnsberger.
Erziehen nach dem Pippi-Langstrumpf-Ideal sei ein Spagat, bestätigt Leibovici-Mühlberger: „Wir wollen, dass Kinder kreativ und selbstbestimmt sind, aber sich gut ins System eingliedern, möglichst an oberster Stelle.“ Sie glaubt, dass Pippi nicht glücklich geworden wäre: „Wenn die Goldstücke ausgehen, wäre sie heute eine Sozialhilfeempfängerin.“
Die Liebe zur ersten Superheldin bleibt aber ungebrochen: Ein deutscher Supermarkt verkaufte in einer Aktionswoche 15.000 Kostüme mit der berühmten roten Perücke.